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Der steinige Aufstieg des Kinnarodden

von Jannis Ide

Tipps

Im Juli waren wir mit unserem VW-Bus im hohen Norden Europas in Lappland unterwegs und suchten nach einer spannenden Tour für eine drei- bis viertägige Wanderung. Das vermeintliche Nordkap wollten wir auf unserer Reise meiden, da es uns eindeutig zu überlaufen ist. Außerdem liegt es auf einer Insel. Diese ist zwar durch einen Tunnel zu erreichen, zählt aber dadurch streng genommen nicht zum Festland. Tausende Menschen, die jedes Jahr zum nördlichsten Punkt aufbrechen, unterliegen also im Grunde genommen einem Irrtum.

Das echte Nordkap liegt dagegen etwas weiter östlich: Unzugänglich, wild und sehr einsam ragt der Kinnarodden weit vor ins Meer. Keine befestigten Wege führen dorthin und es gibt dort nichts außer Felsen, spärlicher Vegetation und den Rentierherden, die durch die Täler ziehen. Das unwegsame Gelände sorgt dafür, dass sich nur wenige Menschen im Jahr dorthin verirren. 

Wir waren uns schnell einig, dass uns dieses Ziel sehr verlockte und bei guter Witterung auch in drei Tagen mit Hin- und Rückweg gut zu bewältigen erschien. 

Also fuhren wir zunächst nach Mehamn, dem nächstgelegenen Ort, der Ausgangspunkt für unser Abenteuer werden sollte. Der kleine Fischerort wird von der Hurtigruten angesteuert, ansonsten gibt es dort neben den Wohnhäusern, die sich in die Bucht schmiegen, einen kleinen Campingplatz mit Gästehäusern, einen Flugplatz, Supermarkt und Tankstelle. Um an Kartenmaterial und nähere Informationen zu der Wanderung zu kommen, mussten wir uns allerdings eine Weile durchfragen. An der Rezeption des Adventure Camp Mehamn bekamen wir schließlich eine schlecht kopierte Karte im A4-Format sowie eine Reihe von GPS-Tracking-Punkten. Der Weg sei über rote Kreuze in weiten Strecken markiert, aber unwegsam und nicht ungefährlich. Für 150 Euro hätten wir ein GPS-Gerät mit der bereits getrackten Route leihen können, aber da wir ein eigenes Gerät besitzen, wollten wir die Urlaubskasse nicht unnötig belasten und lehnten das Angebot daher ab. Zudem wäre die Leihgabe fast so teuer wie ein neues Gerät gewesen.

Sollten wir abbrechen müssen, könnten wir aber ein Boot ordern, das uns für umgerechnet 4750 Kronen pro Person an einem Strand unterhalb des Kaps wieder einsammeln könnte. Als Back-up nicht schlecht, aber natürlich wollten wir die Tour auf eigene Faust bestehen. Immerhin war die Wettervorhersage für die nächsten Tage für diese nördliche Region recht gut: trocken und überwiegend sonnig mit Temperaturen im zweistelligen Bereich. Allerdings wurden wir noch von den schnell aufziehenden Nebelbänken gewarnt, die die Orientierung ohne GPS unmöglich machen würden.

Am nächsten Tag packten wir unsere Rucksäcke und stellten unser Auto vor der winzigen Polizeistation ab, um die beiden Steinstelen am unteren Teil des Flughafens zu durchschreiten und die Wanderung offiziell zu beginnen. Der Himmel war grau und verhangen und dicke Wolken schoben sich vom Meer her über die Felsrücken ins Landesinnere. 

Gleich zu Beginn stellte uns der Nebel auf eine Probe. So kurz hinter dem Ort war die Tundra noch von Pfaden durchzogen, die sich kreuz und quer durch die moorige Landschaft wanden. Die Sicht betrug nur wenige Meter und wir suchten vergeblich nach dem nächsten roten Kreuz, das uns den Weg zum Kinnarodden zeigen sollte. Auch die GPS-Wegepunkte wollten im Nebel nicht näher kommen. Nach einer Stunde des Umherirrens verzog sich endlich die Wolke und wir gelangten auf den richtigen Pfad.

Der erste Teil der Wegstrecke war mit dem Schwierigkeitsgrad rot als mittel schwierig eingestuft. Wir überquerten einen Bach und stiegen dann leicht an zu den Steinebenen, die sich auf dem Rücken des Kaps über endlose Kilometer zunächst nach Westen und dann nach Norden ziehen. Auf felsigem Untergrund war kein Pfad mehr zu erkennen, aber mithilfe eines kleinen Fernrohrs konnten wir immer die nächste Wegmarkierung erspähen, sodass wir uns sicher sein konnten, noch auf dem richtigen Weg zu sein. 

Durch die Geröllfelder wurde das Gehen sehr beschwerlich und wir verstanden schnell, warum dieser Teil des Weges trotz der geringen Steigung eine schwarze Markierung bekommen hatte. Die Gletscher der letzten Eiszeit hatten hier ein wildes Durcheinander von Felsblöcken hinterlassen. Jeder Schritt erforderte Trittsicherheit und Konzentration. Zum Glück war es trocken. Bei Nässe ist dieser Teil des Weges definitiv nicht sicher zu begehen. Ein verknackster Knöchel wäre in dieser Gegend sehr unangenehm geworden. Entsprechend langsam kamen wir auf den teils kilometerlangen Geröllfeldern voran. 

Auf unserer kopierten Karte waren zum Glück die vielen kleinen Seen eingezeichnet, die sich in den Senken bildeten. So konnten wir immer rechtzeitig unseren Wasserfilter auspacken und die Trinkflaschen auffüllen. Infrage kommende Zeltplätze entdeckten wir allerdings über weite Strecken nicht.

Nach 16 Kilometern erreichten wir endlich ein Tal mit grasigen Flächen, die ausreichend eben für unsere kleinen Zelte waren. Schnell bauten wir das Lager auf und richteten die Zelte ein. In den Senken lagen immer noch letzte Schneereste des Winters. Insofern war es nicht verwunderlich, dass das Wasser in dem kleinen See so eiskalt war, dass es fast noch gefroren schien. Um uns zu waschen, mussten wir da aber hinein. Huch, war das kalt! Entsprechend kurz wurde das Badevergnügen und hinterher freuten wir uns besonders auf die Tasse mit heißem Tee. 

Als wir am nächsten Morgen früh aus dem Zelt krabbelten, weideten die Rentiere im Tal und die Sonne, die nur für wenige Stunden hinter dem Horizont verschwunden gewesen war, stand schon wieder hoch an einem strahlend blauen Himmel.

Wir ließen die Zelte stehen und machten uns nur mit leichtem Gepäck auf den Weg zum Kap. Nach 8 Kilometern durch kargste Landschaften sahen wir endlich das Meer und das Kap schien nah vor uns zu liegen. Als wir allerdings die Schlucht sahen, die uns von unserem Ziel noch trennte, mussten wir kräftig schlucken. Wir mussten zunächst noch einen steilen Hang einmal fast bis auf Meereshöhe hinunter, nur um auf der anderen Seite direkt wieder auf die Klippe aufzusteigen.

Endlich waren wir am Ziel. Was für ein Panorama! Westlich konnten wir schemenhaft im Dunst den angeblich nördlichsten Festlandspunkt (das touristische Nordkap) erkennen. Kein Schiff zeigte sich auf dem Meer, kein Zeichen menschlicher Besiedlung war zu sehen. Nur der Seeadler kreiste über uns und die Möwen flogen kreischend weit unter uns über das Wasser.

Mit einigen Riegelpausen erreichten wir gegen Abend wieder unser Basislager und krochen bald nach dem Essen müde in die Schlafsäcke. 
Am nächsten Morgen war es wieder neblig und kalt. Daher packten wir schnell zusammen und traten den Rückweg an. Diesmal wussten wir, was uns erwartete und gingen zügig los, um die anstrengenden Geröllfelder bald hinter uns lassen zu können.

Noch immer waren wir keiner Menschenseele begegnet. Wir hatten mit einer einsamen Gegend gerechnet, aber doch auch mit dem ein oder anderem Wanderer. Erst als der Ort wieder deutlich vor uns lag, hatten wir das Gefühl, zurück in der Zivilisation zu sein. Nach 48 Kilometern!

Wie immer war es herrlich, nach der Tour den Komfort einer langen, heißen Dusche zu genießen. Auch das Kochen und Sitzen in der komfortablen Küche des Campingplatzes war uns sehr willkommen. 

Die Eindrücke der Tour wirkten in uns nach und wir freuten uns, einen kleinen, aber entlegenen Teil Europas auf diese besondere Weise erlebt zu haben. 

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