Felsentor und Hexenfluch

Dobrý den!" reißt mich eine Stimme aus meinen Erinnerungen heraus und schwenkt mit der einen Hand einen batteriebetriebenen Plastikadler, mit der anderen eine nachgemachte Outdoorjacke durch die Luft. Ich nicke ihr zu. "Bestel Pleis,", schreit die kleine Straßenhändlerin mit Strohhut weiter, nachdem sie mit abschätzendem Blick glaubt, an mir etwas Deutsches erkannt zu haben. Nein! Ich bin nicht in Saigon. Ich befinde mich in Hrensko, einem ehemaligen tschechischen Grenzdorf und laufe mit schwerem Rucksack bepackt auf einer Abflussrinne die enge Fahrstraße hinauf.

Unsicher sehe ich mich um. Fachwerkhäuser, denen man die einstige Schönheitnur noch bedingt ansieht und Bretterverschläge, aus denen Nippes und Plagiate ohne Ende heraus verkauft werden. Und hier sollen die Chroniken von Narnia gedreht worden sein? Weder macht der Ort einen besonders fantasievollen Eindruck noch erkenne ich das berühmte Prebischtor, über das die Kinder ins Reich der bösen Hexe Jadis geflogen sind. Dabei sollte es mit seiner sagenhaften Breite von 26 m ja eigentlich von Weitem zu erkennen sein.

Gerade jetzt bin ich eher darauf bedacht, tüvreifen Autos und hupenden Lkws auszuweichen und notfalls an die Felsen zu springen. Zumindest bin ich nicht allein auf meiner Suche. Auch nicht auf dieser Straße, die mit zunehmender Stunde allmählich einem Pilgerweg gleicht. Erst nachdem der Weg in den Nationalpark Böhmische Schweiz einknickt wird es einsamer. Einzelne Felsenwälder und Steinsorgenhäufchen säumen meine Schritte durch den immer dichter werdenden Wald. Während ich meine eigenen Sorgen längst hinter mir gelassen habe, bringt mich der lange Anstieg gehörig ins Schwitzen. Die Luft steht, in dichtem Laub gefangen, bis ich am Rastplatz unterhalb des Tores ankomme. Endlich.

Nein, es ist nicht zu übersehen. Zwar erkenne ich mit hochgerecktem roten Kopf im Moment nur die Schräglage, dafür umso mehr vom imposanten bunt gefärbten usflugsschlösschen "Falkennest", das dicht an die Felswand geklebt heute zugleich Restaurant, useum und Zugang zum Prebischtor ist. Noch schwanke ich zwischen Begeisterung und dem lück eines weiteren Aufstieges, aber so kurz vorm Ziel aufzugeben, kommt natürlich nicht in Frage. Der Schweiß rinnt also weiter und irgendwann enden auch die steilsten Kehren. Ein mürrisch dreinblickender Tscheche grüßt nicht, sondern deutet auf das Schild hinter ihm. "Die Eintritt in Kronen bezalen." Gut, dass ich auf deutscher Seite etwas Geld getauscht habe. Freundlicher wird er durch mein abgezähltes Kleingeld allerdings nicht. Links geht es über steile, ausgetretene Stufen auf den Großen Felsbalkon hinauf. Der atemraubende Ausblick entschädigt für alles und macht die Mühen der Aufstieges sofort weg. Dank knurrender Mägen sitzen die meisten unten im Restaurant, während hier oben über den Felsen Stille liegt. Nur der Wind, der über die Baumspitzen des weiten Böhmerwaldes zieht, ist hörbar.

Heute ist mein Geburtstag. Ich ziehe ein kleines Päckchen aus dem Rucksackheraus. Meine Tochter hat es mir vor der Abreise mit den Worten "öffne es an einem Platz, der Glück für dich bedeutet" in die Hand gedrückt. Jetzt ist so ein Moment. Ja, hier zu stehen, über das weite Land zu schauen und nur den Moment zu erspüren, das ist Glück.